Maria Weißenberger schreibt in einem Zeitungsbericht der Kirchenzeitung "Glaube und Leben" für das Bistum Mainz, Nr. 10 vom 10. März 2013 über das Trauercafé:
Durch die Trauer hindurch
Nach dem Tod eines lieben Menschen kann der Austausch mit anderen Trauernden helfen – zum Beispiel bei einem Offenen Treff
„Es sind jetzt bald zwei Jahre, seit mein Mann gestorben ist – und die Trauer geht nicht weg.“ Im Trauercafé der ökumenischen Hospizbewegung in Offenbach findet die Mutter einer erwachsenen Tochter offene Ohren für ihre Gefühle. Für ihre Trauer, die sie – wie manche ihrer Bekannten meinen – inzwischen doch überwunden haben sollte...
An alles gedacht. Sorgfältig haben Marianne Mitzel (links) und Karin Wolpert den Raum für das Trauercafé vorbereitet.
Foto: Maria Weißenberger
Eine Erfahrung, die sie mit einigen der Frauen und Männer im „Trauercafé“ verbindet: „Das müsste doch jetzt endlich mal vorbei sein“, „das Leben geht weiter“, so und ähnlich lauten die Bemerkungen, mit denen sich Menschen oft konfrontiert sehen, wenn der Tod ihres Angehörigen geraume Zeit zurückliegt. Menschen, die selbst trauern, verstehen, dass die Frau „nichts gebacken kriegt“, dass sie das Gefühl hat, sich selbst im Weg zu stehen. Über 30 Jahre war sie verheiratet, „da brauchen Sie Zeit für die Trauer um Ihren Mann“, zeigt eine andere Witwe Verständnis. Jeder bekommt Zeit, um von sich zu erzählen. Neun Frauen und Männer sind heute gekommen, die meisten von ihnen waren früher schon da, empfinden den Austausch im Trauercafé als große Hilfe. Liebevoll haben Marianne Mitzel und Karin Wolpert den Raum im Erdgeschoss des Caritashauses St. Josef hergerichtet, den Tisch mit bunten Tüchern gedeckt, Teelichte bereitgestellt. „Kräutertee? Rooibos? Oder lieber einen Schwarztee?“
Für jeden Verstorbenen leuchtet eine Kerze
Die ehrenamtlichen Hospiz- und Trauerbegleiterinnen strahlen Freundlichkeit und Ruhe aus, lassen den Menschen Zeit, um „anzukommen“, bevor sie den Austausch mit einem Ritual eröffnen, das den meisten inzwischen vertraut geworden ist: Alle haben die Möglichkeit, ein Teelicht für ihren Verstorbenen zu entzünden, den anderen mitzuteilen, für wen dieses Licht leuchten soll. Neun Kerzen, die Zeichen der Trauer sind, Zeichen der Erinnerung, Zeichen der Liebe zu Ehepartnern, Kindern, Freunden, die fehlen im Leben der Menschen, die hier um den Tisch sitzen. „Man kommt von der Arbeit nach Hause, man möchte sich mitteilen – und da ist niemand“, sagt ein Mann, der seine Frau verloren hat. Einsam und trübe erlebt er seine Abende, ruhelos und „mit viel zu hoher Drehzahl“ sucht er dagegen anzugehen. Nicht nur er kann die ungewohnte Stille im Haus kaum aushalten. „Ich mache mir das Radio an, lasse es auch nachts spielen“, erzählt eine Frau.
Wie ein Satellit im Weltraum
„Wie ein Satellit im Weltraum, der nicht mehr weiß, wo er hingehört“, fühlt sich eine andere seit dem Tod ihres Mannes. „Trauer ist Liebe, die ihre Heimat verloren hat“, zitiert ihr Sitznachbar einen Satz, den er „irgendwo gelesen hat“. Klar, er kann schon mit seinem Leben zurechtkommen, sagt er. Aber er fühlt sich entwurzelt, und er wartet, „dass es aufhört“. Dass es aufhört, damit meint er, „dass ich endlich neben meiner Frau liege, dass es auch für mich vorbei ist“. Kein Entsetzen, kein „Tadel“ für solche Gedanken. Sie dürfen sein, dürfen ausgesprochen werden in dieser Runde, in der sich niemand seiner Tränen schämen muss. Aber nicht nur der tiefe Schmerz, nicht nur die dunklen Stunden bekommen hier Raum. Auch von dem einen oder anderen Lichtblick ist die Rede: Eine Frau erzählt von der schönen Feier zum Geburtstag ihres verstorbenen Mannes, zu der Verwandte und Freunde eingeladen waren und bei der viele gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht wurden. „Ich habe Kürbismarmelade gekocht, die man sogar essen kann“, berichtet ein Witwer und regt tatsächlich mit seiner drolligen Schilderung zum Lachen an. „Sehr beruhigend und stärkend“ hat Claudia Winterling vor drei Jahren die Treffen im Trauercafé empfunden. „Von einem Tag auf den anderen waren meine Pläne und Lebensvorstellungen zerstört“, sagt die Sozialpädagogin, deren Mann damals durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Das war im November, und sie hatte nach einer „Soforthilfe“ gesucht, die schnell zur Verfügung stand. Im Dezember kam sie zum ersten Mal ins Trauercafé, das sie im Internet gefunden hatte. „Ich habe mich wohlgefühlt in der Gruppe“, sagt sie, die Texte, Bilder und Gedichte, die die Trauerbegleiterinnen ausgewählt hatten, haben ihr gut getan.
Die gemeinsame Zeit Jahr für Jahr durchgegangen
Wochen hat sie gebraucht, um zu realisieren, „dass er wirklich nicht mehr da ist“. Sie wurde krank, war ein Vierteljahr krankgeschrieben. Dadurch konnte sie sich Zeit nehmen für ihre Trauer, hat ihre Fotoalben betrachtet, ist die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann Jahr für Jahr durchgegangen. „Ich konnte meine Trauer verarbeiten, statt darüber hinwegzugehen“, sagt sie. Sie spürte, dass viele Menschen in ihrer Umgebung unsicher waren, ob sie den Tod ihres Mannes ansprechen sollten. „Sie wollten mir wohl nicht wehtun, nicht durch die Erinnerung meine Wunden wieder aufreißen“, meint sie. Im Trauercafé und in einer begleiteten Trauergruppe, auf die eine Bekannte sie aufmerksam gemacht hatte, hat ihr am meisten geholfen, „dass alle respektiert haben, dass der plötzliche Tod meines Mannes nach 30 Jahren Ehe ein so massiver Eingriff in mein Leben war, dass es einen längeren Prozess brauchte, um meine Trauer zu verarbeiten“. Das hat ihr nicht zuletzt deshalb gut getan, weil sie dazu neigt, sich selbst zu fordern, und dachte, „ich muss doch wieder funktionieren“. Manchmal träumt sie auch heute noch, dass ihr Mann lebt. Und doch gelingt es ihr, ihr eigenes Leben, das durch seinen Tod so anders geworden ist, zu gestalten. Ihre gemeinsamen Freunde gehören bis heute dazu, neue Freundinnen hat sie kennengelernt, manche auch durch die Trauergruppe. Mit ihnen unternimmt sie öfter etwas, sie verreisen gemeinsam, feiern auch Silvester miteinander. „Weihnachten ist nicht so schwer“, zeigt ihr die Erfahrung, „dann sind meine Tochter und meine Schwiegermutter da.“
Unterschiedliche Angebote für trauernde Menschen
Mit einer Mut machenden Geschichte und einem Abschiedsritual geht das Treffen im Trauercafé in Offenbach zu Ende. Eine Zeit zum Reden oder auch zum Schweigen und Zuhören. Eine Zeit zum Trösten oder Getröstet-Werden. Ein offener Treff, zu dem jeder unangemeldet kommen kann. So oft er will, so oft er es braucht. Weil manche Menschen sich draußen freier fühlen und beim Spazierengehen in der Natur schwere Dinge oft leichter auszusprechen sind, bietet die ökumenische Hospizbewegung einmal im Monat in verschiedenen Stadtteilen Offenbachs auch „Ge(h)spräche“ an. Dazu ist allerdings eine Anmeldung erforderlich. „Dann können wir die Zahl der Begleiter auf die Zahl der Teilnehmer abstimmen“, erklären Marianne Mitzel und Karin Wolpert.
Weitere Informationen: Ökumenische Hospizbewegung Offenbach, Koordinatorin: Christine Bernhard, Telefon 069/80087998, E-Mail: info@hospizoffenbach